„An unserer Schule ist die Beziehung zu den einzelnen Schülern und die entsprechende Kommunikation besonders wichtig.“ Denn gerade deren unterschiedlichsten Bedürfnisse und Einschränkungen bedeuten eine große Herausforderung, um sie auf ihr späteres Leben ohne Sonderbehandlung vorzubereiten. Mit den gesundheitlichen Einschränkungen ihrer Schüler und Schülerinnen und dem sensiblen Umgang damit kennen sich Christina Buckow und all ihre Kollegen und Kolleginnen aus. Die eigene Gesundheit sollte das Leben der Stuttgarterin jedoch in einen Trümmerhaufen verwandeln.
Der lange Weg einer Diagnose
Es begann mit einem heftigen grippalen Infekt. Doch eine permanente Kurzatmigkeit, Schwindel und Konzentrationsprobleme folgten und hörten auch nach Abklingen des Infekts nicht auf. Anfangs schob Christina Buckow ihre Symptome auf den Alltagsstress. Die Atemnot wurde allerdings zunehmend stärker, das Herz begann immer wieder zu rasen. Gleichzeitig fühlte sich die Lehrerin unglaublich schwach, die Muskeln spielten plötzlich nicht mehr mit, der gesamte Körper schmerzte aufgrund des entzündeten Bindegewebes. Hinzu kamen unergründliche Magenschmerzen, Übelkeit, Erbrechen und Durchfälle. Damit begann eine Odyssee durch zahlreiche Arztpraxen. Multiple Sklerose stand als Verdacht im Raum, eine chronisch-entzündliche Erkrankung des Zentralen Nervensystems, die sich durch eine Vielzahl von Symptomen äußern kann. Mit einer Lungenentzündung kam Christina Buckow schließlich in eine Lungenklinik, aufgrund der festgestellten Herzrhythmusstörungen wurde sie dann jedoch in eine Herzklinik verlegt. „Es ging erst einmal darum, mein Herz so zu unterstützen, dass meine Lunge überhaupt wieder ausreichend Sauerstoff bekam“, berichtet die Patientin heute. „Bis zur tatsächlichen Diagnose dauerte es aber zwei Jahre!“ Glücklicherweise erkannte schließlich eine Lungenfachärztin den Zusammenhang der vielschichtigen Symptome. Es war keine Multiple Sklerose. Christina Buckow hat eine systemische Sklerose in Kombination mit einer Myositis.
Verständnisvolle Arbeitgeber von Anfang an
Die systemische Sklerose ist eine seltene rheumatische Erkrankung, bei der sich Haut und Bindegewebe verhärten und entzünden. Auch Muskeln, Lunge, Verdauungsorgane und Blutgefäße können betroffen sein. Die gleichzeitige Myositis bewirkt, dass Christina Buckows Muskulatur schwindet und immer schwächer wird. „Im ersten Augenblick war ich erleichtert, endlich eine Diagnose zu haben“, sagt die 39-Jährige heute. „Doch dann brach eine große Trauer über mich herein, dass mein Leben, wie ich es bisher kannte, gestorben war.“ Trauer – aber auch Existenzangst. Wie sollte die Lehrerin so ihr Arbeitspensum weiter durchhalten und ihr Leben finanzieren? Christina Buckow schleppte sich nach einer sechswöchigen Krankschreibung trotz ihrer Schmerzen wieder täglich in die Schule. Jeden Tag immer mit dabei: die Angst, aufgrund der Atemnot nicht mehr von einem Zimmer ins nächste gehen zu können oder plötzlich Durchfall zu bekommen. „Ich bekam sogar Schlafattacken mitten im Gespräch oder auch im Auto.“ Mit ihren Vorgesetzten kann Christina Buckow zum Glück von Anfang über ihre Erkrankung sprechen. Sie haben volles Verständnis und raten ihr immer wieder, einen Gang runterzuschalten. So erzählt Manuel Wacker, Abteilungsleiter der Schule beim Jakobsweg der Paulinenpflege Winnenden und Christina Buckows Vorgesetzter: „Wir haben Frau Buckow immer wieder nach Hause geschickt, um ihr den Druck zu nehmen, den sie sich selbst machte, sodass sie sich schonen und besser auf ihre Gesundheit achten konnte.“ Und doch blieb die größte Angst der Lehrerin, ihre Arbeitskraft oder gar ihre Arbeitsstelle zu verlieren.
Aufgeben kam nicht in Frage
Christina Buckows Ärzte und Ärztinnen rieten ihr mit Mitte 30, in Rente zu gehen. Doch das hätte finanziell nicht zum Leben gereicht. „Außerdem sagten sie, dass ich nie wieder reiten können würde!“ Das wollte und konnte die junge Frau so nicht akzeptieren. Sowohl ihre Arbeit als auch das Reiten in ihrer Freizeit waren einfach zu wichtig. Seit circa sechs Jahren kümmert sich Christina Buckow in Form einer Reitbeteiligung um die lebhafte Stute „Gia“. In der bisher schwersten Zeit ihres Lebens waren es gerade die Tiere, die dafür sorgten, dass sich die Rheumatikerin nicht selbst aufgab. „Gia“, die sonst stets sehr temperamentvoll war, schien zu spüren, dass ihre Pflegerin zu schwach war und ließ sich brav vom Boden aus bewegen. Katze „Lucy“ legte sich zu Hause stundenlang auf Christina Buckows Brustkorb, als deren Lungenbeschwerden besonders groß waren, und sorgte so für Wärme und Ruhe. Trotz vieler Tränen und einer Depression hielt ihr starker Wille daran fest, für die Tiere da sein zu wollen.
Zurück am Arbeitsplatz
Nach weiteren elf Monaten der Krankschreibung und einem Reha-Aufenthalt startet Christina Buckow erneut mit der Wiedereingliederung. Sie erhält weiterhin viel Unterstützung durch ihre Arbeitgeber, sei es durch betriebsinternes Coaching oder auch durch die zeitliche Flexibilität, um Termine für Arztbesuche, Physiotherapien oder die Medikamentenbeschaffung wahrzunehmen. „Frau Buckow wünscht sich, berufliche Verantwortung zu übernehmen, benötigt aber auch eine gewisse Entlastung“, weiß Manuel Wacker. „Es ist uns wichtig, da stets eine gute Lösung für alle zu finden und die Arbeitsbedingungen bei Bedarf anzupassen.“ Besonders hilfreich ist zum Beispiel auch das Pausenmanagement. Christina Buckow legt inzwischen täglich regelmäßige Pause ein, in denen sie den Körper herunterfährt, Atemübungen oder mentales Training durchführt. Auch die progressive Muskelentspannung wirkt sich sehr positiv auf ihren Körper aus. Die Lehrerin unterrichtet außerdem höchstens zwei Tage am Stück und erledigt an zwei Tagen in der Woche im Homeoffice organisatorische Tätigkeiten für den sonderpädagogischen Dienst der Schule. Das hilft ihr, sich zu schonen und wieder etwas zu Kräften zu kommen. Aufgrund der großen Unterstützung durch ihre Arbeitgeber fühlte sich Christina Buckow schließlich auch ermutigt, mit ihren Kollegen und Kolleginnen offen über die eigene Situation zu sprechen. „Für mich selbst, aber auch für manche von ihnen war es zu Beginn schwieriger, mit meiner Behinderung klarzukommen, als mit den Handicaps unserer Schüler“, sagt Christina Buckow. „Aber ich bekomme heute doch auch sehr viel Rückhalt aus dem Kollegium.“ Und nicht nur die Vorgesetzten, die Lehrer und Lehrerinnen haben Verständnis. Auch die Schüler und Schülerinnen stehen der Rheumatikerin bei. Sie tragen immer wieder ihre schwere Lehrertasche, fragen, wie es ihr geht und reagieren gelassen, wenn spontan ein Vertretungslehrer einspringen muss.
Geduld und mentale Stärke
Wichtig für Christina Buckow war es, zu akzeptieren, dass nicht nur ihre Schüler und Schülerinnen Geduld und Hilfe im Alltag benötigten. Sondern dass auch sie selbst Unterstützung annehmen und sich mit kleinen Schritten zufriedengeben musste. Denn oft käme man mit Ruhe und Pausen schneller ans Ziel als mit Ungeduld und Hast. Gerade die regelmäßigen Pausen, ihr starker Wille und ihre Fähigkeit zur Konzentration helfen der Patientin dabei, neue Energie zu tanken und Bewegungen, die schwerfallen, leichter auszuführen. Mentales Training erlaube ihr, sich im Voraus auf potenzielle Situationen vorzubereiten, um im tatsächlichen Fall dann eine Lösung parat zu haben. So fühle sie sich nicht mehr passiv, sondern als Managerin ihrer Erkrankung und dem Umgang damit. Dank meditativem Atmen hat Christina Buckow sogar ihre Schmerzen sowie ihren Puls unter Kontrolle. „Und auch wenn man zeitweise einen Schritt zurücktreten oder etwas Gewohntes ändern muss, ist das kein Aufgeben“, sagt die engagierte Lehrerin. Es habe ein paar Jahre gedauert, aber eine frühe Rente sei heute jedenfalls kein Thema mehr. Und entgegen den Vorhersagen ihrer Ärzte reitet sie auch die geliebte Stute „Gia“ wieder regelmäßig.
„Ich habe so viel verloren und musste mich völlig neu definieren, neue Werte und Maßstäbe finden. Meine härteste Prüfung war eindeutig, Geduld zu lernen und auch mit kleinen Fortschritten zufrieden zu sein. Und vor allem mich und meine Arbeit als wertvoll zu erachten, selbst wenn sie hinter dem Standard eines gesunden Menschen zurückbleibt. Ich habe so Vieles als Verzichten oder Aufgeben empfunden, aber am Ende hat es mich weitergebracht. Mehr Pausen, zum Beispiel, haben zu mehr Energie geführt, die lange Krankschreibung zu mehr körperlicher Stabilität und Belastbarkeit. Und man muss immer im Dialog bleiben! Mit dem Arbeitgeber, den Kollegen, den Ärzten … Dann tut sich immer ein neuer Weg auf. Denn es gibt einen Weg – immer – gemeinsam!“
Christina Buckow
„Frau Buckows offener und ehrlicher Umgang mit ihrer Erkrankung ermöglicht es uns, die Arbeitsbedingungen so zu gestalten, dass sie ihre vielfältigen Kompetenzen am Arbeitsplatz einbringen kann. Zudem genießt sie umfangreichen Rückhalt im Kollegium, sodass gewisse Einschränkungen, zum Beispiel durch mögliche gesundheitliche Schwankungen, gut kompensiert werden können.“
Manuel Wacker, Abteilungsleiter Schule beim Jakobsweg der Paulinenpflege Winnenden e. V.