RheumaPreis 2024

Im Folgenden stellen wir Ihnen die aktuellen sowie die Preisträger der vergangenen Jahre vor. Klicken Sie auf die Jahreszahl oder die Person, um mehr über unsere Preisträger zu erfahren.

Jutta Beckmann

Jutta Beckmann: „Am Anfang war es Mut, dann kam das Glück dazu!“

Jutta Beckmann ist Pferdemensch mit Leib und Seele. Voller Leidenschaft und Begeisterung hat sie seit ihrer Kindheit ihre ganze Energie den edlen Vierbeinern gewidmet. Aufgewachsen im nordrhein-westfälschen Dülmen, der „Stadt der Wildpferde“ war der jungen Frau schnell klar, dass sie ihre Passion auch zum Beruf machen würde.

So arbeitete Jutta Beckmann über Jahre als Pferdetrainerin, insbesondere im Westernreiten, betreute Zucht- und Turnierpferde, bildete sie aus und gab auch Reitern und Reiterinnen regelmäßig Unterricht. Erst arbeitete die Dülmenerin als Angestellte in verschiedenen Reitbetrieben, später pachtete sie selbst einen Stall und trainierte die Tiere als Selbstständige. Jeder Tag begann frühmorgens und war Sommer wie Winter stets gefüllt mit harter Stallarbeit.

Plötzlich fehlte die Kraft

Doch dann bekam Jutta Beckmann geschwollene und schmerzhafte Handgelenke. Es folgten Schultern, Knie und Fußgelenke sowie der Rücken. „Anfangs tat ich es als Überarbeitung ab“, erzählt sie heute. „Klar, bei acht Pferden täglich, die ich bewegte, und der körperlich schweren Arbeit.“ Doch die Schmerzen wurden immer stärker. Gleichzeitig schwand schlagartig die Kraft und Energie. Hinzu kamen eine fast unendliche Müdigkeit und Schlafstörungen. „Ich schaffte es nicht einmal mehr, den schweren Westernsattel aufs Pferd zu heben, geschweige denn, die Jungpferde auszubilden und fürs Turnier vorzubereiten.“ Jutta Beckmann kannte die Art der Symptome bereits von ihrer Mutter, die ebenfalls unter einer rheumatischen Erkrankung gelitten hatte. Dass sie ein ähnliches Schicksal erleiden sollte, wollte sie aber nicht wahrhaben. So erfand Jutta Beckmann immer wieder neue Ausreden ihren Kollegen und Kunden gegenüber, wollte ihre langjährig aufgebaute Bekanntheit und Existenz nicht aufgeben. Doch die gesundheitlichen Probleme ließen sich nicht aufhalten und auch nicht ignorieren. „Ich spürte eine unendliche Wut auf meine Mutter, dass sie mir eine chronische Erkrankung vererbt hatte, Wut auf mich selbst, auf die ganze Welt und natürlich Angst,“ sagt die passionierte Pferdefrau. Aber überraschend kam die Diagnose im Jahr 2010 nicht: Jutta Beckmann leidet unter einer rheumatoiden Arthritis und würde ihren kräftezehrenden Beruf so nicht weiterführen können.

Mut zur Veränderung

Es war ausgerechnet Denise Beckmann (ehem. Fleischer), eine damalige Kundin mit einem ziemlich schwierigen Pferd, die ihre Pferdetrainerin schließlich auf deren körperliche Einschränkungen ansprach. Die Pferdebesitzerin war selbst chronisch an Diabetes Typ 1 erkrankt und erkannte, wie schwer ihrer Pferdetrainerin jeder Handgriff fiel, wie sie sich jeden Tag in den Stall kämpfte und Ausflüchte suchte. Das Training vom Sattel aus war nur noch schwer möglich, Turniervorstellungen konnten nicht mehr stattfinden und Jutta Beckmanns Gelenke ließen auch die tägliche Stallarbeit nicht mehr zu. „Doch was sollte ich tun?“, fragte sich die Rheumatikerin. „Ich hatte fast mein gesamtes Leben nichts anderes gemacht und konnte mir auch ein Leben ohne Pferde nicht vorstellen.“ In gemeinsamen Gesprächen mit Denise Beckmann (ehem. Fleischer), die als Hypnosetherapeutin und Mental Coach weniger die Kraft ihrer Hände, sondern vielmehr die Kraft ihrer Gedanken nutzte, lernte Jutta Beckmann eine neue Perspektive kennen. „Wir sprachen offen über unsere Erkrankungen und unsere Gefühle,“ erzählt die Pferdetrainerin. Etwas, das sie bisher nie getan hatte. „Und Denise versprach mir zu helfen, meine Pferdeleidenschaft beruflich zu begleiten – wenn auch in eine neue Richtung.“

Weg von der Kraft, hin zum Fühlen

Die beiden Frauen lernten neue Wege der Tierkommunikation kennen, machten eine Ausbildung zu ganzheitlichen Tiertherapeutinnen in den Bereichen Osteopathie, Physiotherapie sowie Akupunktur und gründeten 2012 ihr Unternehmen „Reitgeist“. Seither helfen sie anderen Menschen und Pferden, Lösungen für ihre Probleme zu finden. „Oft sind Missverständnisse oder falsch gesendete Signale, Ängste oder Stress die Ursachen, die zu Problemen im Umgang mit Pferden führen“, erklärt Jutta Beckmann. Man müsse aber viel mehr ins Fühlen kommen. „Heute arbeite ich nicht mehr mit Muskelkraft, sondern mit der Vorstellungskraft, wie etwas aussehen oder sich anfühlen soll.“ Diese Art der Kommunikation übertrage sich auf das jeweilige Pferd, da die Tiere selbst ebenfalls über ihr Unterbewusstsein arbeiteten und auf ihre Gefühle reagierten. Sogar zu Pferden, die als problematisch oder unreitbar gelten, finden die Damen von „Reitgeist“ in der Regel einen Zugang. Und auch Menschen, die ihre Ängste, ihre Wut oder Selbstzweifel in den Griff bekommen wollen, finden hier Möglichkeiten des Coachings. „Gerade Betroffene mit chronischen Krankheiten wie Rheuma oder Diabetes profitieren von unseren Erfahrungen, Übungen oder mentalen Herangehensweisen,“ freut sich Jutta Beckmann.

Krankheit als große Chance

Die ganzheitliche Sichtweise und der offene Umgang mit Gefühlen und dem Bewusstsein war für Jutta Beckmann komplett neu. Vieles musste sie selbst erst einmal zulassen und lernen, dass es heute so gut funktioniert. „Doch die Art der Kommunikation und des Fühlens hat mich selbst innerlich unglaublich gestärkt.“ Das habe sie ihrer Krankheit zu verdanken – aber natürlich auch Denise Beckmann, ihrer heutigen Frau. „Denn allein hätte ich diesen Schritt zur Veränderung nie gewagt zu gehen.“ Heute lebt das Paar glücklich gemeinsam mit zwei Pferden in Steinfurt im Münsterland. Jutta Beckmann nutzt inzwischen einen leichteren Filzsattel (von Isabel Steiner) und genießt auch das Reiten wieder. Denn die Bewegung auf dem Pferd löst Verkrampfungen und lindert so auch ihre rheumatischen Beschwerden.

„Mein Ziel ist es, anderen Menschen mit Rheuma zu zeigen, wie sie sich trotz ihrer Erkrankung selbstbewusst und frei fühlen können und welche Chancen letztendlich auch hinter so einer Erkrankung stecken können. Es ist immer auch eine Frage der Annahme, Einstellung, Selbstverantwortung, Selbstliebe und Eigeninitiative, wie sich das Leben mit einer rheumatischen Erkrankung entwickelt. Und manchmal braucht es auch Mut zur Veränderung. Dank meiner Veränderungen habe ich heute nur noch wenige gesundheitliche Einschränkungen und kann auch wieder reiten. Ich bin glücklich, dankbar für all meine Erfahrungen und freue mich, Menschen sowie Pferden helfen zu können. Vor allem aber habe ich gelernt, frei zu reden und zu zeigen, was mich als Persönlichkeit ausmacht.“

Jutta Beckmann

Christina Buckow

Christina Buckow: „Wichtig ist, im Dialog zu bleiben. Denn es gibt einen Weg – immer – gemeinsam!“

Seit 2018 unterrichtet die Stuttgarterin Christina Buckow am sonderpädagogischen Bildungs- und Beratungszentrum (SBBZ) der Paulinenpflege in Winnenden. Die 39-Jährige ist dort als wissenschaftliche Lehrkraft für Englisch und Geschichte angestellt und arbeitet mit hör- und sprachbehinderten Schülern und Schülerinnen, mit psychisch Behinderten sowie mit Autisten. „Ich liebe meine Arbeit und die Interaktion mit den Menschen, die alle eine andere Förderung benötigen“, erzählt Christina Buckow.

„An unserer Schule ist die Beziehung zu den einzelnen Schülern und die entsprechende Kommunikation besonders wichtig.“ Denn gerade deren unterschiedlichsten Bedürfnisse und Einschränkungen bedeuten eine große Herausforderung, um sie auf ihr späteres Leben ohne Sonderbehandlung vorzubereiten. Mit den gesundheitlichen Einschränkungen ihrer Schüler und Schülerinnen und dem sensiblen Umgang damit kennen sich Christina Buckow und all ihre Kollegen und Kolleginnen aus. Die eigene Gesundheit sollte das Leben der Stuttgarterin jedoch in einen Trümmerhaufen verwandeln.

Der lange Weg einer Diagnose

Es begann mit einem heftigen grippalen Infekt. Doch eine permanente Kurzatmigkeit, Schwindel und Konzentrationsprobleme folgten und hörten auch nach Abklingen des Infekts nicht auf. Anfangs schob Christina Buckow ihre Symptome auf den Alltagsstress. Die Atemnot wurde allerdings zunehmend stärker, das Herz begann immer wieder zu rasen. Gleichzeitig fühlte sich die Lehrerin unglaublich schwach, die Muskeln spielten plötzlich nicht mehr mit, der gesamte Körper schmerzte aufgrund des entzündeten Bindegewebes. Hinzu kamen unergründliche Magenschmerzen, Übelkeit, Erbrechen und Durchfälle. Damit begann eine Odyssee durch zahlreiche Arztpraxen. Multiple Sklerose stand als Verdacht im Raum, eine chronisch-entzündliche Erkrankung des Zentralen Nervensystems, die sich durch eine Vielzahl von Symptomen äußern kann. Mit einer Lungenentzündung kam Christina Buckow schließlich in eine Lungenklinik, aufgrund der festgestellten Herzrhythmusstörungen wurde sie dann jedoch in eine Herzklinik verlegt. „Es ging erst einmal darum, mein Herz so zu unterstützen, dass meine Lunge überhaupt wieder ausreichend Sauerstoff bekam“, berichtet die Patientin heute. „Bis zur tatsächlichen Diagnose dauerte es aber zwei Jahre!“ Glücklicherweise erkannte schließlich eine Lungenfachärztin den Zusammenhang der vielschichtigen Symptome. Es war keine Multiple Sklerose. Christina Buckow hat eine systemische Sklerose in Kombination mit einer Myositis.

Verständnisvolle Arbeitgeber von Anfang an

Die systemische Sklerose ist eine seltene rheumatische Erkrankung, bei der sich Haut und Bindegewebe verhärten und entzünden. Auch Muskeln, Lunge, Verdauungsorgane und Blutgefäße können betroffen sein. Die gleichzeitige Myositis bewirkt, dass Christina Buckows Muskulatur schwindet und immer schwächer wird. „Im ersten Augenblick war ich erleichtert, endlich eine Diagnose zu haben“, sagt die 39-Jährige heute. „Doch dann brach eine große Trauer über mich herein, dass mein Leben, wie ich es bisher kannte, gestorben war.“ Trauer – aber auch Existenzangst. Wie sollte die Lehrerin so ihr Arbeitspensum weiter durchhalten und ihr Leben finanzieren? Christina Buckow schleppte sich nach einer sechswöchigen Krankschreibung trotz ihrer Schmerzen wieder täglich in die Schule. Jeden Tag immer mit dabei: die Angst, aufgrund der Atemnot nicht mehr von einem Zimmer ins nächste gehen zu können oder plötzlich Durchfall zu bekommen. „Ich bekam sogar Schlafattacken mitten im Gespräch oder auch im Auto.“ Mit ihren Vorgesetzten kann Christina Buckow zum Glück von Anfang über ihre Erkrankung sprechen. Sie haben volles Verständnis und raten ihr immer wieder, einen Gang runterzuschalten. So erzählt Manuel Wacker, Abteilungsleiter der Schule beim Jakobsweg der Paulinenpflege Winnenden und Christina Buckows Vorgesetzter: „Wir haben Frau Buckow immer wieder nach Hause geschickt, um ihr den Druck zu nehmen, den sie sich selbst machte, sodass sie sich schonen und besser auf ihre Gesundheit achten konnte.“ Und doch blieb die größte Angst der Lehrerin, ihre Arbeitskraft oder gar ihre Arbeitsstelle zu verlieren.

Aufgeben kam nicht in Frage

Christina Buckows Ärzte und Ärztinnen rieten ihr mit Mitte 30, in Rente zu gehen. Doch das hätte finanziell nicht zum Leben gereicht. „Außerdem sagten sie, dass ich nie wieder reiten können würde!“ Das wollte und konnte die junge Frau so nicht akzeptieren. Sowohl ihre Arbeit als auch das Reiten in ihrer Freizeit waren einfach zu wichtig. Seit circa sechs Jahren kümmert sich Christina Buckow in Form einer Reitbeteiligung um die lebhafte Stute „Gia“. In der bisher schwersten Zeit ihres Lebens waren es gerade die Tiere, die dafür sorgten, dass sich die Rheumatikerin nicht selbst aufgab. „Gia“, die sonst stets sehr temperamentvoll war, schien zu spüren, dass ihre Pflegerin zu schwach war und ließ sich brav vom Boden aus bewegen. Katze „Lucy“ legte sich zu Hause stundenlang auf Christina Buckows Brustkorb, als deren Lungenbeschwerden besonders groß waren, und sorgte so für Wärme und Ruhe. Trotz vieler Tränen und einer Depression hielt ihr starker Wille daran fest, für die Tiere da sein zu wollen.

Zurück am Arbeitsplatz

Nach weiteren elf Monaten der Krankschreibung und einem Reha-Aufenthalt startet Christina Buckow erneut mit der Wiedereingliederung. Sie erhält weiterhin viel Unterstützung durch ihre Arbeitgeber, sei es durch betriebsinternes Coaching oder auch durch die zeitliche Flexibilität, um Termine für Arztbesuche, Physiotherapien oder die Medikamentenbeschaffung wahrzunehmen. „Frau Buckow wünscht sich, berufliche Verantwortung zu übernehmen, benötigt aber auch eine gewisse Entlastung“, weiß Manuel Wacker. „Es ist uns wichtig, da stets eine gute Lösung für alle zu finden und die Arbeitsbedingungen bei Bedarf anzupassen.“ Besonders hilfreich ist zum Beispiel auch das Pausenmanagement. Christina Buckow legt inzwischen täglich regelmäßige Pause ein, in denen sie den Körper herunterfährt, Atemübungen oder mentales Training durchführt. Auch die progressive Muskelentspannung wirkt sich sehr positiv auf ihren Körper aus. Die Lehrerin unterrichtet außerdem höchstens zwei Tage am Stück und erledigt an zwei Tagen in der Woche im Homeoffice organisatorische Tätigkeiten für den sonderpädagogischen Dienst der Schule. Das hilft ihr, sich zu schonen und wieder etwas zu Kräften zu kommen. Aufgrund der großen Unterstützung durch ihre Arbeitgeber fühlte sich Christina Buckow schließlich auch ermutigt, mit ihren Kollegen und Kolleginnen offen über die eigene Situation zu sprechen. „Für mich selbst, aber auch für manche von ihnen war es zu Beginn schwieriger, mit meiner Behinderung klarzukommen, als mit den Handicaps unserer Schüler“, sagt Christina Buckow. „Aber ich bekomme heute doch auch sehr viel Rückhalt aus dem Kollegium.“ Und nicht nur die Vorgesetzten, die Lehrer und Lehrerinnen haben Verständnis. Auch die Schüler und Schülerinnen stehen der Rheumatikerin bei. Sie tragen immer wieder ihre schwere Lehrertasche, fragen, wie es ihr geht und reagieren gelassen, wenn spontan ein Vertretungslehrer einspringen muss.

Geduld und mentale Stärke

Wichtig für Christina Buckow war es, zu akzeptieren, dass nicht nur ihre Schüler und Schülerinnen Geduld und Hilfe im Alltag benötigten. Sondern dass auch sie selbst Unterstützung annehmen und sich mit kleinen Schritten zufriedengeben musste. Denn oft käme man mit Ruhe und Pausen schneller ans Ziel als mit Ungeduld und Hast. Gerade die regelmäßigen Pausen, ihr starker Wille und ihre Fähigkeit zur Konzentration helfen der Patientin dabei, neue Energie zu tanken und Bewegungen, die schwerfallen, leichter auszuführen. Mentales Training erlaube ihr, sich im Voraus auf potenzielle Situationen vorzubereiten, um im tatsächlichen Fall dann eine Lösung parat zu haben. So fühle sie sich nicht mehr passiv, sondern als Managerin ihrer Erkrankung und dem Umgang damit. Dank meditativem Atmen hat Christina Buckow sogar ihre Schmerzen sowie ihren Puls unter Kontrolle. „Und auch wenn man zeitweise einen Schritt zurücktreten oder etwas Gewohntes ändern muss, ist das kein Aufgeben“, sagt die engagierte Lehrerin. Es habe ein paar Jahre gedauert, aber eine frühe Rente sei heute jedenfalls kein Thema mehr. Und entgegen den Vorhersagen ihrer Ärzte reitet sie auch die geliebte Stute „Gia“ wieder regelmäßig.

„Ich habe so viel verloren und musste mich völlig neu definieren, neue Werte und Maßstäbe finden. Meine härteste Prüfung war eindeutig, Geduld zu lernen und auch mit kleinen Fortschritten zufrieden zu sein. Und vor allem mich und meine Arbeit als wertvoll zu erachten, selbst wenn sie hinter dem Standard eines gesunden Menschen zurückbleibt. Ich habe so Vieles als Verzichten oder Aufgeben empfunden, aber am Ende hat es mich weitergebracht. Mehr Pausen, zum Beispiel, haben zu mehr Energie geführt, die lange Krankschreibung zu mehr körperlicher Stabilität und Belastbarkeit. Und man muss immer im Dialog bleiben! Mit dem Arbeitgeber, den Kollegen, den Ärzten … Dann tut sich immer ein neuer Weg auf. Denn es gibt einen Weg – immer – gemeinsam!“

Christina Buckow

„Frau Buckows offener und ehrlicher Umgang mit ihrer Erkrankung ermöglicht es uns, die Arbeitsbedingungen so zu gestalten, dass sie ihre vielfältigen Kompetenzen am Arbeitsplatz einbringen kann. Zudem genießt sie umfangreichen Rückhalt im Kollegium, sodass gewisse Einschränkungen, zum Beispiel durch mögliche gesundheitliche Schwankungen, gut kompensiert werden können.“

Manuel Wacker, Abteilungsleiter Schule beim Jakobsweg der Paulinenpflege Winnenden e. V.

Tanja von Keitz

Tanja von Keitz: „Das Einzige, das man tun muss: Man muss miteinander reden!“

Tanja von Keitz aus dem nordrhein-westfälischen Dülmen übt ihren Beruf mit „Herzblut“ aus, wie sie sagt. Sie liebe es, Menschen mit Behinderung in ihrem Arbeitsleben zu unterstützen. Denn die 55-Jährige arbeitet bei der Stadtverwaltung Recklinghausen als Sachbearbeiterin in der Fachstelle für behinderte Menschen im Beruf. Ein Schwerpunkt ihrer Arbeit liegt in der Sachverhaltsermittlung des besonderen Kündigungsschutzes und sie hilft den Betroffenen unter anderem durch die Kostenübernahme von technischen Arbeitsmitteln, um ihnen den Arbeitsalltag zu erleichtern.

Dafür führt Tanja von Keitz täglich viele Telefonate. Sie hat jedoch auch Außendiensttermine, um Arbeitsplatzbesichtigungen durchzuführen oder an Kündigungsverhandlungen teilzunehmen. „Oft höre ich meinen Klienten und Klientinnen auch einfach zu, wenn sie von ihren gesundheitlichen und beruflichen Problemen berichten, um anschließend eine mögliche Lösung zu finden.“ Und genau das sei das Wichtigste überhaupt: Man müsse zuhören und miteinander reden. „Denn so vielfältig Erkrankungen und deren Auswirkungen sind, so vielfältig sind auch mögliche Arbeitshilfen und Lösungswege, die sich dann eröffnen.“

Plötzlich selbst betroffen

Tanja von Keitz kann ihren Klienten und Klientinnen so einfühlsam und lösungsorientiert helfen, weil sie selbst aus Erfahrung spricht. Kurz nachdem sie im Juni 2021 vom Jobcenter in die Fachstelle für behinderte Menschen im Beruf gewechselt hatte, bekam sie ihre Diagnose der seropositiven chronischen rheumatoiden Arthritis. Die rheumatische Erkrankung äußert sich in ihrem Fall in Form von sehr schmerzhaften und geschwollenen Hand-, Finger-, Fuß- und Zehengelenken, aber auch durch Konzentrationsstörungen, Schwäche und Erschöpfung. Plötzlich war es Tanja von Keitz nicht mehr möglich, den Drehknopf der Bürotür zu öffnen oder einen Stecker aus der Steckdose zu ziehen. Trotz schneller Diagnose und Medikation ließen die Krankheitsschübe nicht nach. „Es gab viele Tage, an denen ich nicht einmal in der Lage war, mich morgens für die Arbeit anzuziehen und ins Büro zu fahren“, erzählt die 55-Jährige heute. Selbst das Telefonieren oder das Schreiben von Bescheiden war nur noch unter Schmerzmitteln möglich. „Mein Leben bestand damals nur noch daraus, den Arbeitstag irgendwie zu bewältigen“, sagt Tanja von Keitz. „Auch jegliche Freizeit nutzte ich nur noch dazu, zu regenerieren, um am nächsten Tag wieder arbeitsfähig zu sein.“

Offene Kommunikation

Doch für Tanja von Keitz stand fest, dass sie ihre Arbeitsstelle auf gar keinen Fall aufgeben würde und auch, dass sie weiterhin in Vollzeit tätig sein wollte. So sprach sie ihre Vorgesetzten auf ihre Erkrankung an, erläuterte offen deren psychische und physische Auswirkungen, beschrieb ihren typischen Alltag und wie sie ihn bestritt. „Uns ist es ein großes Anliegen, jeden Mitarbeiter und jede Mitarbeiterin mit individuellen Lösungen oder auch Hilfsmitteln zu unterstützen, um bei chronischen Krankheiten oder Behinderungen deren Beschäftigungsfähigkeit zu erhalten“, sagt Volker Thiel, Leiter des Fachbereichs Soziales und Wohnen, in dem die Fachstelle für behinderte Menschen im Beruf innerhalb der Stadtverwaltung Recklinghausen angesiedelt ist. Neben ihrem Sachgebietsleiter Jan Müller reagierte auch Tanja von Keitz` Abteilungsleiterin Katja Lochthofen auf Krankmeldungen stets verständnisvoll und sagte: „Mach langsam und erst wieder weiter, wenn es wirklich geht! Stress dich nicht, es werden auch wieder gute Tage kommen, an denen es besser läuft.“ Auch erkundigte sie sich, ob bestimmte Büromaterialien oder eine zusätzliche Software den Arbeitstag der Betroffenen erleichtern könnten.

Gemeinsam Lösungen finden

So trafen sich Tanja von Keitz, ihre Vorgesetzten sowie der Beauftragte für Betriebliches Eingliederungsmanagement der Stadt Recklinghausen und beschlossen, dass ihre Mitarbeiterin für vorerst drei Monate ausschließlich im Homeoffice arbeiten würde. Sie hatte wie viele Menschen mit gesundheitlichen Beeinträchtigungen stets das Gefühl, sich besonders beweisen zu müssen und zu wollen. Die große Motivation erkannten auch ihre Vorgesetzten. „Gerade weil Frau von Keitz in ihrem Arbeitsfeld ihre Berufung gefunden hat und aufgrund ihres großen Engagements, kann sie auch im Homeoffice ihre Aufgaben vollumfänglich wahrnehmen und außerordentlich gute Ergebnisse erzielen“, bestätigt Volker Thiel. So arbeitet Tanja von Keitz bis heute von zu Hause aus und nimmt nur ein bis zwei Außentermine pro Woche wahr. „Das reduziert meinen Stress und erleichtert mir die Arbeit immens“, berichtet die Rheumatikerin. „Die Fahrt zur Arbeit war früher oft kräftezehrend und belastend. Jetzt kommt die Energie meiner Arbeit selbst zugute.“ Außerdem ist es ihr so möglich, regelmäßige Pausen einzulegen und die häufigen Termine bei Ärzten, Physiotherapeuten sowie Psychologen wahrzunehmen, die erforderlich sind, um ihre Arbeitsfähigkeit zu erhalten.

Krankheit rückt in den Hintergrund

Auch heute noch hat Tanja von Keitz mal gute und mal schlechte Tage, ihre Daumen schmerzen infolge einer beidseitigen Rhizarthrose oder sie fühlt sich nach der Arbeit so erledigt, dass sie nur noch ausruhen möchte. „Früher wollte ich eigentlich das Haus renovieren, ich liebte handwerkliche Tätigkeiten und die Gartenarbeit“, erzählt die 55-Jährige. „Jetzt baue ich stattdessen nur noch ein paar Kräuter und Gemüsepflänzchen in unseren Hochbeeten an oder entspanne mit meinem Kater Mogli, der sich gerade an schlechten Tagen stundenlang an mich kuschelt und mich beruhigt.“ Aber Tanja von Keitz sagt es mit einem Lächeln auf den Lippen. Denn sie ist unglaublich dankbar für das Glück, das sie mit ihren Vorgesetzten hat, für die Art, wie sie helfen, ihren Gesundheitszustand zu stabilisieren, ihre Erwerbsfähigkeit und ihren Arbeitsplatz zu sichern. „Meine Arbeit trägt dazu bei, dass meine Erkrankung in den Hintergrund rückt und sie nicht allgegenwärtig ist“, sagt die Dülmenerin. „Dafür haben die Stadt Recklinghausen und insbesondere mein Fachbereich den RheumaPreis wirklich verdient! Denn hier wird man als Mensch wahrgenommen, nicht als Mitarbeiter oder Mitarbeiterin.“

 

„Die Stadt Recklinghausen hat mir ein Stück Lebensqualität zurückgegeben, die ich zwischenzeitlich verloren geglaubt hatte. Ich musste nicht um meinen Arbeitsplatz kämpfen. Ich erhielt von Anfang an eine große Unterstützung, damit ich trotz der chronischen Erkrankung vollumfänglich meinen Job ausüben kann. Ich möchte den Menschen, die chronisch erkrankt sind, Mut machen, dass man trotz Erkrankung und einer anerkannten Behinderung in der Lage ist, sein Bestes im jeweiligen Beruf zu geben. Das Einzige, das man tun muss: Man muss miteinander reden und dem Arbeitgeber zeigen, dass eine Behinderung nicht bedeutet, dass man nicht mehr arbeiten kann.“

Tanja von Keitz

„Es war uns wichtig, Frau von Keitz darin zu unterstützen, auch weiterhin in Vollzeit arbeiten zu können. Wir sind der festen Überzeugung, dass auch dies einen Baustein darstellt, ihre gesundheitliche Situation mit zu stabilisieren, da sich der Fokus primär darauf richtet, die Rahmenbedingungen so auszugestalten, dass sie sich durch ihre Erkrankung nicht so stark beeinträchtigt fühlt. Dafür war eine notwendige Voraussetzung, dass Frau von Keitz von Beginn an ihre Probleme und Ziele transparent kommuniziert hat. Der regelmäßige Austausch ist essenziell, um auch frühzeitig Anpassungen und Veränderungen vornehmen zu können. Dabei achten wir gemeinsam mit Frau von Keitz darauf, dass sie ihre Aufgaben im vollen Umfang wahrnehmen kann.“

Volker Thiel, Leiter des Fachbereichs Soziales und Wohnen, Stadtverwaltung Recklinghausen