Dies änderte sich schlagartig im Jahr 2006. „Ich befand mich gerade im Training für meinen zweiten Marathon, als mein Körper anfing zu schmerzen. Von Tag zu Tag ging es mir schlechter, sodass ich mich sogar während meiner Sportstunden hinsetzen und im Sitzen weiter unterrichten musste“, erzählt die heute 53-Jährige aus Tornesch im Kreis Pinneberg in Schleswig-Holstein. Für die damals 40-Jährige begann eine längere Odyssee von Arzt zu Arzt. „Mein Körper hatte inzwischen so abgebaut, dass ich nicht mehr gehen konnte, die Entzündungswerte waren extrem hoch.“ Aufgrund der starken Verschlechterung überwies die behandelnde Rheumatologin, Dr. Susanne Nolof, ihre Patientin Anja Karlstetter umgehend in die Klinik nach Bad Bramstedt. „Das war der Wendepunkt“, so Karlstetter. Die Ärzte diagnostizierten eine mikroskopische Polyangiitis. „Nach vielen Monaten gab es endlich eine Diagnose – allein endlich eine Diagnose zu haben, tat unendlich gut.“ Bei dieser Form der Vaskulitis entzünden sich durch autoimmunologische Prozesse Blutgefäße im Körper. „Im September 2006 bekam ich die erste Cyclophosphamid-Infusion, sechs weitere folgten“, erzählt sie weiter. „Ich nahm durch die hohe Gabe von Cortison sehr zu und litt auch unter starker Übelkeit – aber die Therapie zeigte ihre Wirkung.“
Der damalige Arbeitgeber äußerte sich seinerzeit nicht zur Erkrankung. „Die Zeit im Krankenhaus fiel in die unterrichtsfreien großen Ferien, und als sich alles verlängerte, wurden Vertretungen eingesetzt. Eine richtige Reaktion auf meine Erkrankung gab es leider nie“, erinnert Karlstetter sich. „Als die Ärzte mir in der Klinik dann mitteilten, dass ich aufgrund der Erkrankung meinen Sport und damit auch meinen Beruf an den Nagel hängen könnte, war das ein zusätzlicher Schock.“ Eine ihr nahestehende Kollegin, mit der Karlstetter schon lange der Traum einer Selbstständigkeit verband, besuchte sie in dieser schwierigen Zeit regelmäßig im Krankenhaus. Sie versprach ihr, gemeinsam diesen Traum zu realisieren, „wenn sie da wieder raus wäre.“ – „In dieser sehr verzweifelten Lage hat mir die Vorstellung eines gemeinsamen Fitnessstudios und die große Liebe meiner Familie die Kraft gegeben, wieder auf die Beine zu kommen“, sagt Karlstetter.
Noch während der Infusionstherapie schauten sich die beiden Kolleginnen nach geeigneten Räumlichkeiten für ein Sportstudio um und wurden Anfang 2008 fündig. „Ich hatte durch die Cortisontherapie zwölf Kilogramm zugenommen und war dadurch natürlich auch äußerlich sehr verändert – viele haben mich damals für verrückt erklärt, diesen Schritt zu wagen“, erinnert sich Karlstetter. Rückhalt kam von der Familie und der Rheumatologin Dr. Nolof, die ihre Patientin ermutigte, sich ihren Lebenstraum zu erfüllen.
Am 5. September 2008 eröffnete Karlstetter mit ihrer Kollegin ein eigenes Fitness- und Gesundheitsstudio für Frauen, zunächst als Franchisenehmer. „Wir haben uns damals dazu entschieden, das Studio gemeinsam zu betreiben, da ich auch jederzeit mal ausfallen kann – das haben wir auch ganz offen dem Franchisegeber gegenüber erwähnt.“ Nach fünf erfolgreichen Jahren Franchise machten sich die beiden dann komplett selbstständig und unabhängig, mit nachhaltigem Erfolg. „Diesen September feiert unser Studio ,inBalance‘ zehnjähriges Jubiläum, was vorher viele nicht für möglich gehalten haben. Und in den letzten Jahren falle ich zum Glück auch kaum mehr aus. Ich unterrichte inzwischen wieder fast alles und bin sehr dankbar dafür“, erzählt Karlstetter. „Ich habe diese Entscheidung keinen einzigen Tag bereut.“
„Die schwere Erkrankung hat mir die Chance gegeben, mir meinen Lebenstraum zu erfüllen. Es war ein sehr steiniger Weg, aber ich bin unendlich dankbar dafür, dass es geklappt hat. Was ich daraus gelernt habe, ist, dass so eine signifikante Veränderung im Leben eine große Chance zum Umdenken sein kann, wenn man mit festem Willen an sich glaubt und seine Ziele im Auge behält“, fasst Karlstetter zusammen. „Ich möchte noch so lange wie möglich in meinem Studio arbeiten und weiterhin so glücklich damit sein, anderen helfen zu können.“ Ausgehend von ihrer Erkrankung und der Erkenntnis, was Menschen mit ähnlichen Erkrankungen helfen kann, hatte sich Karlstetter dafür eingesetzt, das eigene Studio gesundheitsorientiert auszurichten. So gibt es nur gelenkschonende, hydraulische Geräte ohne Gewichte, abgestimmte Gesundheitskurse und zusätzlich Ernährungscoaching. Da sie selbst durch ihre langjährige Cortisontherapie Osteoporose bekam, bietet das Studio außerdem seit einigen Jahren ein Training auf der Vibrationsplatte an, eine durch Studien bestätigte Präventions- und Aufbaumaßnahme bei Osteoporose. „Inzwischen ist unser Studio unter anderem auch ein Anlaufpunkt für Menschen mit rheumatischen Erkrankungen geworden. Es macht mir so viel Spaß, Ihnen zu zeigen, was auch mit Rheuma noch alles geht."
"Durch meine Erkrankung und den Umgang damit, bin ich für viele ein authentisches Vorbild, was mich sehr freut."