Arbeiten mit einer chronischen Erkrankung: Damit das gelingt, sind vonseiten der Betroffenen wie auch vonseiten der arbeitgebenden Betriebe Offenheit, Rücksichtnahme und kreative Lösungen gefragt. Drei Arbeitsverhältnisse, die in diesen Punkten besonders überzeugen, wurden nun von der Initiative RheumaPreis ausgezeichnet, die jährlich drei gleichnamige Preise vergibt. Im nunmehr 17. Jahr der Verleihung durften sich JuttaBeckmann aus Steinfurt, die Stuttgarterin Christina Buckow sowie Tanja von Keitz aus Dülmen über ein Preisgeld von jeweils 3.000 Euro freuen. Als Arbeitgeber wurden die Paulinenpflege in Winnenden - Arbeitgeberin von Christina Buckow - und die Stadt Recklinghausen - Arbeitgeberin von Tanja von Keitz - mit einer Urkunde geehrt. Im Fokus der diesjährigen Verleihung stand die „Neue Arbeitswelt“, die Betroffenen den beruflichen Alltag erleichtern kann. Die feierliche Preisverleihung fand am vergangenen Samstag, dem 21. September 2024 in Düsseldorf statt.
Das Leben mit einer entzündlich-rheumatischen Erkrankung stellt sowohl in körperlicher als auch in psychischer Hinsicht eine Herausforderung dar. Arzttermine und das übrige Krankheitsmanagement kosten Zeit und Energie, oft zehrt auch die Krankheit selbst an den Kräften und erzwingt Pausen. „In Deutschland sind mehr als zwei Millionen Menschen von rheumatischen Erkrankungen unterschiedlichen Schweregrads betroffen“, sagt Professor Dr. med. Matthias Schneider, Mitinitiator des RheumaPreises vom Universitätsklinikum Düsseldorf. „Das sind rund drei Prozent der erwachsenen Bevölkerung.“ Allein diese Zahlen machen deutlich, dass Betriebe und Gesellschaft auf dieses wertvolle Potenzial an Arbeitskraft nicht verzichten wollen ebenso wie die Betroffenen in aller Regel ihren Beruf weiter ausüben können.
Dass dies heute in sehr vielen Fällen möglich ist, liegt nicht zuletzt an neuen, wirksamen Therapien. Aber auch der Umgang mit chronischen Erkrankungen und Behinderungen hat sich gewandelt: Betroffene gehen offener mit ihren Einschränkungen um, und auch in vielen Betrieben gehören Rücksichtnahme und Integrationsbereitschaft fest zur Unternehmenskultur. „Dennoch sind Menschen mit chronischen Erkrankungen auf dem Arbeitsmarkt noch immer mit besonderen Herausforderungen konfrontiert“, sagt Donata Apelt-Ihling, Schirmherrin des RheumaPreises, Diplom-Betriebswirtin und Unternehmerin. Darauf wolle die Initiative RheumaPreis aufmerksam machen - und dazu beitragen, noch bestehende Hürden zu verringern. „Vor allem aber wollen wir die große individuelle Leistung der Preisträgerinnen würdigen, die sich dieser Herausforderung mit Mut, Kraft und Engagement gestellt haben.“
Mit Offenheit und Herzblut erfolgreich: Die drei Gewinnerinnen des RheumaPreises 2024
Ein Leben für die Pferde, angefüllt mit schwerer körperlicher Arbeit im Stall und im Sattel - dieser Passion von Jutta Beckmann bereitete eine rheumatoide Arthritis vor 14 Jahren ein jähes Ende. Beruflich stand die erfolgreiche Pferdetrainerin, die selbstständig einen eigenen Stall betrieb, damit quasi vor dem Nichts. Doch die anfängliche Wut auf die Erkrankung wandelte sich zu Mut zur Veränderung: Mithilfe ihrer damaligen Kundin Denise Fleischer, die heute ihre Ehefrau ist und ihren Nachnamen angenommen hat, fand Jutta Beckmann einen neuen Zugang zu Pferden. Gemeinsam machten sie eine Ausbildung zur ganzheitlichen Tiertherapeutin und gründeten 2012 ihr Unternehmen „Reitgeist“. „Heute arbeite ich nicht mehr mit Muskelkraft, sondern mit Gefühlen und Vorstellungskraft“, sagt Jutta Beckmann - eine komplett neue Herangehensweise, mit der sie die Tiere auf der Ebene unterbewusster Kommunikation erreicht und selbst bei schwierigen Pferden gute Erfolge erzielt.
Weil sie mittlerweile gesundheitlich stabil ist, funktioniert auch das Reiten wieder und hilft sogar, Verkrampfungen zu lösen. Ihr Ziel ist es nun, auch anderen Menschen mit Rheuma zu zeigen, „wie sie sich trotz ihrer Erkrankung selbstbewusst und frei fühlen können, und welche Chancen auch in der Erkrankung stecken können.“
Das Reiten, der Umgang mit Tieren und mentales Training spielen auch in Christina Buckows Leben und in ihrer Krankengeschichte eine wichtige Rolle. Als Lehrerin am sonderpädagogischen Bildungs- und Beratungszentrum (SBBZ) der Paulinenpflege in Winnenden, erkrankte die Stuttgarterin vor einigen Jahren schwer an systemischer Sklerose und Myositis. Schmerzen, sowie Probleme mit Lunge, Herz und Darm sind seither ihre ständigen Begleiter. Doch den Rat ihrer Ärzte, mit Mitte 30 schon in Rente zu gehen, wollte sie nicht befolgen - aus finanziellen Gründen, aber auch, weil ihr der Beruf und ihr Hobby, das Reiten, zu wichtig waren. „In der schwersten Zeit meines Lebens waren es gerade die Tiere, die dafür sorgten, dass ich mich nicht selbst aufgab.“, sagt Buckow. Ihr Pflegepferd zeigte sich plötzlich von seiner braven Seite, und auch ihre Katze schien ihre Bedürfnisse genau zu erspüren.
Vor allem aber konnte sie sich stets auf die Unterstützung durch ihren Arbeitgeber und den Rückhalt ihrer Kollegen und Kolleginnen verlassen. Mit zeitlicher Flexibilität, betriebsinternen Coachings und der Möglichkeit zum Home-Office kann Christina Buckow ihre Kräfte heute besser einteilen und ihren geliebten Beruf weiter ausüben.
Welche Arbeitshilfen und Lösungswege es gibt, um Menschen mit körperlichen Einschränkungen im Arbeitsalltag zu unterstützen, weiß Tanja von Keitz schon von Berufs wegen genau: Die 55-Jährige arbeitet bei der Stadtverwaltung Recklinghausen in der Fachstelle für behinderte Menschen im Beruf. Als sie vor drei Jahren selbst mit einer rheumatoiden Arthritis diagnostiziert wurde, wechselte sie plötzlich die Perspektive und wurde selbst zur Betroffenen, die Unterstützung benötigte. Und diese wurde ihr durch ihren Arbeitgeber vollumfänglich gewährt - vor allem durch die Möglichkeit, fast ausschließlich im Home-Office zu arbeiten und sich damit den belastenden Weg von ihrem Wohnort Dülmen nach Recklinghausen zu ersparen. Außerdem nimmt sie pro Woche nur ein bis zwei Außentermine wahr, was zusätzliche Entlastung bringt. „Die Stadt Recklinghausen hat mir ein Stück Lebensqualität zurückgegeben, die ich verloren geglaubt hatte.“, sagt von Keitz. Sie sei dankbar, dass sie nicht um ihren Arbeitsplatz kämpfen musste. Aus ihrer Erfahrung heraus rät sie Betroffenen zur völligen Offenheit: „Man muss miteinander reden und dem Arbeitgeber zeigen, dass eine Behinderung nicht bedeutet, dass man nicht mehr arbeiten kann.“
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