Interview mit Professor Dr. med. Matthias Schneider/Düsseldorf


Herr Professor Schneider, der Rheumapreis wurde erstmals im Jahr 2009 vergeben. Sie haben diesen Preis mitinitiiert. Wie kam es zu der Idee?

Grundsätzlich ist es so, dass Menschen mit rheumatischen Erkrankungen heute im Prinzip ein besseres Leben führen als früher, weil wir über bessere Therapieformen verfügen. Wir haben uns gefragt, wie sich das im Alltag auswirkt. Es wurde deutlich, dass Menschen mit Rheuma durchaus gut einer beruflichen Tätigkeit nachgehen können. Außerdem sind Menschen zufriedener, wenn sie sich selbst verwirklichen können. Das untermauern auch Daten aus Skandinavien. Deswegen wollten wir auf die Situation von Menschen mit Rheuma am Arbeitsplatz durch einen Preis aufmerksam machen. Menschen, die Rheuma haben und arbeiten, stehen oftmals im Widerspruch zur allgemeinen Wahrnehmung. Das wollten wir thematisieren. 
 

Der RheumaPreis würdigt vorbildliche Integration chronisch kranker Menschen im Berufsleben. Warum wurde gerade dieses Feld für den RheumaPreis gewählt?

Gut ausgebildete Menschen, die sich wohlfühlen, wollen häufig auch mit ihrer Rheumaerkrankung arbeiten gehen. Wenn man sich in irgendeiner Form selbstverwirklichen will, ist Arbeit der erste Platz dafür. Spannend zu sehen ist, dass dies bei Frauen wie Männern gleichermaßen eine große Rolle spielt. Menschen verleugnen ihr Rheuma häufig am Arbeitsplatz, weil sie Angst vor der Reaktion der anderen haben. Wir haben uns deshalb gesagt: Das Berufsleben ist etwas, das jeden betrifft. Zudem gerät der Alltag im Berufsleben manchmal auch aus dem Blick der ärztlichen Behandlung, nachdem ein Patient so behandelt wurde, dass er keine Schmerzen hat und sich gut bewegen kann. Mit der Initiative RheumaPreis wollten wir deshalb den beruflichen Alltag nach der Diagnose in den Mittelpunkt stellen.
 

Was würden Sie sagen: Sind die Preisträger des RheumaPreises eher positive Einzelfälle oder hat sich die Situation von Rheumaerkrankten am Arbeitsplatz in den letzten Jahren allgemein verbessert?

Beim RheumaPreis bewerben sich jedes Jahr besondere Menschen, die Besonderes bewegen. Ich stelle oft fest, dass es eine Einstellungsfrage ist, wie man selbst und wie Menschen im Umfeld zu der Erkrankung stehen. Die Bewerber sind insofern Einzelfälle, die aber gute Beispiele dafür sind, wie man sich auch mit Rheuma bewegen kann. Wir können nicht generell sagen, dass sich das Berufsleben von Menschen mit Rheuma total verändert hat, dazu fehlen die Daten. Aber das möchten wir natürlich gerne erreichen.


Welche Anforderungen sollte ein Arbeitsplatz für Menschen mit entzündlichem Rheuma erfüllen?

Viele denken, dass Menschen, die mit Rheuma arbeiten, mit dem Rollstuhl zur Arbeit kommen. Weitere Gedanken, die vielen zuerst in den Kopf kommen, sind beispielweise, dass jemand seine Hand nicht mehr gut bewegen kann und deshalb eine andere Maus bekommt oder Rheumaerkrankte spezielle Bürostühle brauchen. Das kann natürlich absolut notwendig sein, aber die eigentliche Anforderung ist die Akzeptanz der Erkrankten als gleichwertige Menschen. Um die Stigmatisierung zu lösen, verwenden wir den Begriff „Rheumatiker“ nicht mehr, sondern sagen Menschen mit Rheuma. Die Menschen sind vollwertige Mitarbeiter am Arbeitsplatz, die natürlich auch mal ausfallen oder schwere Dinge nicht heben können. Das lässt sich aber lösen, wenn ihre Erkrankung von anderen Menschen anerkannt und verstanden wird und gemeinsam Lösungen gefunden werden. Das Miteinander ist die eigentliche Anforderung an den Arbeitsplatz. Dafür muss aber zuerst der Mensch mit Rheuma selbst darüber sprechen wollen. 


Warum ist es für Rheumapatienten so wichtig, am Arbeitsplatz offen mit Ihrer Erkrankung umzugehen und wie wichtig ist eine geregelte Arbeit für diese Menschen?

Grundsätzlich ist es so, dass ein Mensch mit Rheuma seine Erkrankungen erst einmal akzeptiert haben muss. So kann er sich zuerst selbst damit auseinandersetzen und dann sagen, was er leisten kann und was nicht. Die Betroffenen müssen sich selbst einschätzen lernen. Viele überfordern sich zunächst, weil sie ihre Erkrankung nicht preisgeben wollen. Doch nur, wenn man ein Bewusstsein für sich selbst hat, dann kann man auch andere darüber informieren. Es gibt viele Beispiele, bei denen Betroffene offen mit der Erkrankung umgehen und der Arbeitgeber die gute Arbeitskraft sieht und unterstützt, weil er sie halten will. Häufig bekommen Menschen mit Rheuma dann auch die Unterstützung, die sie brauchen, ohne dass sie zugleich einen Sonderstatus einnehmen und überprotektiert werden. Eine normale Integration ist das, was gewünscht und angebracht ist.  


Erleben Sie es häufig, dass Rheuma-Patienten ihre Erkrankung am Arbeitsplatz verheimlichen? Wozu raten Sie dann? 

Man könnte zunächst mit seinem Arzt oder seinen Angehörigen über die Erkrankung und das Thema sprechen. Wie komme ich an? Wie sehen mich die anderen? Der Arzt und die Familie geben hierauf Antworten in einem geschützten Rahmen, mit denen Betroffene ihr Selbstbild abgleichen können. Daraus kann eine größere Selbstsicherheit resultieren, die zu einer größeren Offenheit führen kann. Ich glaube aber die größte Erkenntnis ist, dass es der beste Schutz für einen selbst ist, offen mit der Erkrankung umzugehen.
 

Seit 2009 begleiten Sie die Entwicklung des RheumaPreises. Gibt es einen Preisträger, eine Patientengeschichte, die Ihnen besonders im Kopf blieb?

Ich habe viele Geschichten dazu im Kopf! Ich finde die Menschen besonders mutig, die sagen: Ich will und muss meinen Arbeitstag selbst gestalten, dann geht es mir am besten. Sie machen sich selbstständig. Diese Menschen leben für Ihre Sache, können sich selbst einschätzen und überfordern sich nicht. Das ist wundervoll zu sehen, aber natürlich auch keine allgemeingütige Lösung. Dennoch halte ich sie für eine besonders mutige Entscheidung. Üblicherweise suchen wir beim RheumaPreis Arbeitgeber und Arbeitnehmer, was in dem Fall ja dann die gleiche Person ist.
 

Ob Fotograf oder Grafikerin – manche Preisträger blieben auch nach ihrer Auszeichnung in die Organisation und Durchführung der Preisverleihung involviert – auch in 2018? 

Wir haben häufig viele ehemalige Preisträger bei den Verleihungen zu Gast, die uns auch passiv treu bleiben. Der Fotograf und die Grafikerin spielen natürlich eine aktive Rolle und machen das unglaublich gut, weil sie ein Gefühl dafür haben, was es an der Stelle braucht. Das hilft uns natürlich auch. Wir wollen künftig noch mehr Menschen erreichen und ein noch größeres Echo für den Preis bekommen. Da hilft es, bisherige Preisträger mit im Boot zu haben. Wenn es soweit ist, dass Rheuma wie Bluthochdruck gesehen wird, wird keiner mehr vom Arbeitsplatz ausgeschlossen. Dann sind wir da, wo wir hinwollen. Das Ziel ist, eine Grundakzeptanz in der Bevölkerung zu erreichen und der Bereich Arbeit bietet hier eine gute Möglichkeit.
 

Den Rheumapreis gibt es inzwischen seit 9 Jahren. Welche Ziele haben Sie sich für die nächsten Jahre gesteckt? 

Wir haben in der letzten Zeit intensiv über diese Frage nachgedacht. Künftig möchten wir die Rolle des Arbeitgebers noch weiter stärken. Wir wollen auch Arbeitgeber als Partner der Initiative RheumaPreis gewinnen, um gerade auch auf Arbeitgeberseite das Bewusstsein zu verändern. Wir haben dort große Offenheit erfahren, sodass wir diesen Weg jetzt gut gehen können. Das ist für uns ein neuer Schritt und eine neue Herausforderung – und für den Preis sicher eine Chance.