Diesen Satz hat Hella Tietz schon oft gehört. „Vielfach sind die Leute erstaunt, wenn sie hören, dass ich Rheuma habe.“ Seit Jahren leidet die 36-Jährige an Morbus Bechterew, einer entzündlich-rheumatischen Erkrankung, die sich vor allem an der Wirbelsäule auswirkt. Die Diagnose erhielt sie mitten im Abitur, als sie bereits Pläne schmiedete, Sozialpädagogik zu studieren. An diesem Ziel hielt sie auch fest. Obwohl sich ihr Gesundheitszustand bereits verschlechterte, beendete sie ihr Studium erfolgreich als Diplom-Sozialpädagogin.
Ihre berufliche Karriere begann vielversprechend: Hella Tietz arbeitete freiberuflich als gesetzliche Betreuerin behinderter oder erkrankter Menschen, für die sie rechtliche Angelegenheiten regelte. Doch mit der Zeit wurde diese Tätigkeit körperlich zu belastend, sodass sie diese nach einigen Jahren wieder aufgeben musste. Die Sozialpädagogin ließ sich davon jedoch nicht entmutigen: Sie suchte und fand eine Alternative bei der Lebenshilfe Nienburg, einer gemeinnützigen Einrichtung, die sieben Werkstätten für behinderte Menschen betreibt. Schon bei der Bewerbung konnte Hella Tietz offen über ihre Erkrankung und mögliche Einschränkungen sprechen. „Leider ist das heute auch noch im Bereich der Behindertenhilfe im Bezug auf das Personal nicht selbstverständlich“, hat die 36-Jährige festgestellt.
In ihrer neuen Position beim Sozialdienst in den Werkstätten konnte sie auf die volle Unterstützung ihres Arbeitgebers bauen. Mit ihm entwickelte sie kreative Lösungen, wenn ihre körperlichen Einschränkungen dies erforderten. So konnte sie von Anfang an ihre Arbeitszeit individuell planen und bei Bedarf von zu Hause aus arbeiten. Ein Notebook mit Serveranbindung wurde ihr dafür bereitgestellt. Ich kann meine Krankengymnastik stets während der Arbeitszeit wahrnehmen und zusätzlich sämtliche vorhandenen Therapieräume und -möglichkeiten nutzen“, berichtet Hella Tietz. Das Tätigkeitsfeld wurde so abgestimmt, dass sie wechselnde Aufgaben an unterschiedlichen Standorten ausübt, was ihren körperlichen Bedürfnissen entgegen kommt.
Als Hella Tietz Mutter einer kleinen Tochter wird, bekommt sie viel Hilfe von ihrem Arbeitgeber und den Kollegen. Nach der Geburt arbeitet sie für längere Zeit kontinuierlich im „Homeoffice“– eine Maßnahme, die für die Einrichtung ein Novum darstellte. Da Betreuungsangebote für unter Dreijährige rar sind, finanzierte ihr Arbeitgeber danach sogar einen Krippenplatz am Arbeitsort. Die Besprechungszeiten wurden an die Teilzeittätigkeit der Sozialpädagogin angepasst. „Alle Beteiligten – meine direkten Kollegen und mein Vorgesetzter – haben kooperativ zusammen gearbeitet“, sagt Hella Tietz. Dank dieser partnerschaftlichen Zusammenarbeit und des persönlichen Einsatzes von Hella Tietz blieben Zeiten krankheitsbedingter Arbeitsunfähigkeit auf ein Minimum beschränkt. Trotz bekannter Einschränkungen wurden mir stetig neue, verantwortungsvolle Bereiche und Rollen übertragen. Heute bin ich die einzige weibliche und in Teilzeit tätige Einrichtungsleitung der Werkstätten. „Mein Beruf ist mir sehr wichtig. Durch meine Berufstätigkeit bin ich finanziell unabhängig, ich fühle mich wertgeschätzt und kann positiv mit dem Thema Behinderung umgehen“, so die Preisträgerin. „Diese positive Einstellung kann ich bei meiner Tätigkeit an andere Menschen mit Behinderung weitergeben.“
Vom RheumaPreis hat Hella Tietz „im Wartezimmer“ erfahren, wo sie auf Informationsmaterial aufmerksam wurde. Sie entschloss sich sofort zum Mitmachen – und hatte Erfolg! Das Preisgeld, das mit der Auszeichnung verbunden ist, möchte sie für einen Urlaub mit ihrem Partner und ihrer Tochter verwenden. „Ich fahre gerne an die See und möchte bald einmal richtig ausspannen“.
Für die Zukunft wünscht sich Hella Tietz, dass sich mehr Normalität beim Umgang mit Rheuma durchsetzt. „Lieber direkt und offen fragen, als im Stillen Vermutungen anstellen“, gibt sie anderen als Rat.
„Außerdem wünsche ich mir, dass die medizinische Forschung weitere Fortschritte macht, damit in Zukunft noch mehr Menschen geholfen werden kann. Aber grundsätzlich ist es für jeden Betroffenen wichtig, eine Haltung zur eigenen Erkrankung zu entwickeln. Man muss sich entscheiden, ob die Erkrankung das Leben im Griff hat oder man selbst seine Erkrankung.“